Tag der Architektur in Deutschland

Herkunft und Entstehung

Der Tag der Architektur wurde in Deutschland Mitte der 1990er-Jahre ins Leben gerufen. Rheinland-Pfalz gehörte gemeinsam mit Hessen, dem Saarland und Thüringen zu den Pionieren und führte 1995 den ersten Tag der Architektur durch – als Vorbild diente der bereits 1993 gestartete „Tag des offenen Denkmals“. Nach und nach schlossen sich alle Bundesländer dieser Initiative an, so dass ab 2001 ein einheitlicher Termin – das letzte Juni-Wochenende – für die Veranstaltung festgelegt werden konnte. Im Jahr 2005 erhielt der Aktionstag erstmals ein bundesweit abgestimmtes Motto („Raum erleben!“), seither wird jedes Jahr ein neues Motto gewählt, um der Veranstaltung einen thematischen Schwerpunkt zu geben. In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich der Tag der Architektur zum festen Bestandteil des Architektenkalenders entwickelt – 2025 konnte bereits das 30. Jubiläum gefeiert werden.

Bedeutung und Ziele

Ziel des Tags der Architektur ist es, Architektur und Baukultur aus ihrer Fachnische heraus in die breite Öffentlichkeit zu tragen. Was anfangs von Skeptikern als kurzlebiger Trend abgetan wurde, entwickelte sich zu einer echten Erfolgsgeschichte: Statt an Attraktivität zu verlieren, wuchs die mediale Aufmerksamkeit mit jedem Jahr, und heute ist der Tag der Architektur das bundesweit größte Baukulturevent, das aus der Öffentlichkeitsarbeit der Architektenkammern nicht mehr wegzudenken ist. Das Format wird von der Architektenschaft auch als ein „demokratisches Instrument“ beschrieben, das Baukultur für alle Bürgerinnen und Bürger erlebbar macht und nicht mehr nur Experten vorbehalten ist. Jährlich wechselnde Mottos greifen aktuelle Themen auf – von Nachhaltigkeit über Umbaukultur bis zu sozialer Vielfalt – und unterstreichen den Anspruch, einen breiten öffentlichen Dialog über Qualität und Zukunft des Bauens anzuregen. So betonte etwa Bundesbauministerin Klara Geywitz in ihrem Grußwort, Fragen nach gelungener, bezahlbarer und nachhaltiger Architektur sollten Teil eines breiten Baukultur-Dialogs sein – der Tag der Architektur lade genau dazu ein, diese Fragen am konkreten Beispiel und im direkten Gespräch vor Ort zu diskutieren.

Durchführung und Programm

Bundesweit wird der Tag der Architektur jedes Jahr am letzten vollen Juni-Wochenende veranstaltet. An diesen zwei Tagen öffnen Architekturbüros, Bauherren und Institutionen in allen Bundesländern eine Vielzahl von neuen oder erneuerten Bauwerken für interessierte Besucher. Geboten wird dabei ein breites Spektrum an Bautypologien – von privaten Wohnhäusern und Wohnungen über Gebäude für Büro, Verwaltung, Bildung und Gewerbe bis hin zu Gärten, Parks und öffentlichen Plätzen. Jährlich sind insgesamt über 1.000 Architekturprojekte in allen Bundesländern beteiligt, die besichtigt werden können. Die meisten dieser Objekte sind normalerweise nicht öffentlich zugänglich, was den besonderen Reiz des Events ausmacht. Oft sind die Architektinnen und Architekten (und zum Teil auch die Bauherren) vor Ort anwesend, um Führungen durch ihr Objekt anzubieten. Besucherinnen und Besucher können so neben architektonischen Eindrücken auch vielfältige Anregungen für eigene Bauvorhaben mitnehmen und im direkten Gespräch mit den Fachleuten vor Ort Ideen und Lösungsansätze diskutieren. Einige Länder erweitern das Programm zusätzlich durch Rahmenveranstaltungen wie Ausstellungen, geführte Touren (etwa per Fahrrad oder Bus) oder die Aktion „Offenes Büro“, bei der Architekturbüros Einblick in ihre Arbeitswelt geben. Der Eintritt ist in der Regel frei, sodass ein möglichst niederschwelliger Zugang für alle Interessierten gewährleistet ist.

Beteiligte Akteure

Hauptveranstalter des Tags der Architektur sind die 16 Architektenkammern der Bundesländer. Die Bundesarchitektenkammer (BAK) koordiniert die Initiative auf nationaler Ebene, indem sie etwa das gemeinsame Jahresmotto abstimmt und für bundesweite Öffentlichkeitsarbeit sorgt. Vor Ort organisieren die Landesarchitektenkammern die Programme und wählen die Projekte aus, die präsentiert werden. Beteiligt sind Architektinnen und Architekten aller Fachrichtungen – vom Hochbau über Innen- und Landschaftsarchitektur bis zur Stadtplanung –, welche ihre realisierten Projekte der Öffentlichkeit vorstellen. Häufig unterstützen auch andere Planende wie Ingenieurinnen und Ingenieure das Programm. Eine entscheidende Rolle spielen darüber hinaus die Bauherren der Objekte: Ohne ihre Bereitschaft, Gebäude für Besucher zu öffnen, wäre der Tag der Architektur nicht möglich. „Der Tag der Architektur lebt vom Engagement der Architektenschaft, die mit ihren Bauherren bereit ist, ein Wochenende lang das gemeinsame Projekt vorzustellen“, erläutert die Architektenkammer Rheinland-Pfalz – den Eigentümern werde dabei ausdrücklich für ihre Gastfreundschaft und Geduld mit teils hunderten Besuchern gedankt. Dieses Zusammenspiel von Architekten und Bauherren trägt aktiv dazu bei, dass die Fachkompetenz des Berufsstandes in die Öffentlichkeit getragen wird. Oft übernehmen zudem prominente Persönlichkeiten die Schirmherrschaft oder richten Grußworte an die Teilnehmer, was die Bedeutung der Veranstaltung auch aus politischer Sicht unterstreicht.

Relevanz für Öffentlichkeit und Fachwelt

Für die interessierte Öffentlichkeit bietet der Tag der Architektur eine einmalige Gelegenheit, zeitgenössische Bauprojekte hautnah zu erleben und einen Blick hinter normalerweise verschlossene Türen zu werfen. Laien können auf diesen Touren Architektur unmittelbar erfahren, erhalten Inspiration und Ideen für eigene Bau- oder Wohnprojekte und kommen in direkten Austausch mit Fachleuten. Im persönlichen Gespräch mit Architektinnen und Architekten lassen sich Positionen diskutieren, konkrete Fragen erörtern oder Probleme rund ums Planen und Bauen besprechen. Dadurch wird baukulturelles Wissen niederschwellig vermittelt – das Verständnis für die gebaute Umwelt und für die Bedeutung qualitätsvoller Planung in der Bevölkerung wird nachhaltig gestärkt. Der Tag der Architektur trägt somit wesentlich dazu bei, das Interesse am Bauwesen und an guter Architektur in weite Kreise der Gesellschaft zu tragen. Gleichzeitig ist die Veranstaltung auch für die Fachwelt von großer Bedeutung: Architekturbüros erhalten ein öffentliches Schaufenster, um ihre Projekte einem breiten Publikum zu präsentieren, und können so die Leistungsfähigkeit und Kompetenz ihres Berufsstandes demonstrieren. Für die Architektenschaft ist der Tag der Architektur ein wichtiger Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit und Imagepflege. Viele Büros berichten von durchweg positivem Feedback der Besucher – nicht selten werden beim Tag der Architektur sogar Kontakte geknüpft, die zu neuen Aufträgen führen. Jedes Jahr nutzen tausende Besucherinnen und Besucher das Angebot: Allein in Rheinland-Pfalz kommen pro Jahr rund 13.000 Menschen mit Architekturschaffenden ins Gespräch, in Hessen sind es etwa 10.000, und bundesweit liegt die Gesamtzahl der Teilnehmenden damit um ein Vielfaches höher. Angesichts dieser Reichweite verwundert es nicht, dass die Veranstaltung heute als größte baukulturelle Publikumsveranstaltung Deutschlands gilt und aus dem Kalender der Bau- und Architekturbranche nicht mehr wegzudenken ist.

Beispiele aus den letzten Jahren

Ein Beispielprojekt: Der Neubau des Biotechnologie-Unternehmens BLINK in Jena, der im Rahmen des Tages der Architektur 2024 besichtigt werden konnte. Solche aktuelle Architektur wird beim Tag der Architektur einer breiten Öffentlichkeit vor Ort präsentiert.

In den vergangenen Jahren standen beim Tag der Architektur immer wieder aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen im Fokus. 2024 lautete das bundesweite Motto „Einfach (um)bauen“, unter dem über 1.000 kreative Neu- und Umbauten präsentiert wurden. Dabei ging es vor allem darum, wie Bestandsgebäude klug weitergenutzt und umgestaltet werden können, um Ressourcen zu schonen und zukunftsfähig zu bauen. Im Folgejahr 2025 rückte das Motto „Vielfalt bauen“ die Aufgabe in den Vordergrund, Räume für unterschiedlichste Lebensentwürfe zu schaffen – sozial gerecht, ökologisch verantwortlich und gestalterisch hochwertig. Diese thematischen Leitgedanken spiegeln sich in den ausgewählten Projekten wider. So zeigte sich 2025 beispielsweise ein deutlicher Trend zum Bauen im Bestand: Erstmals überwog in diesem Jahr die Zahl der Umbau- und Sanierungsprojekte gegenüber den Neubauten. Die Bandbreite reichte vom sensibel modernisierten Wohnhaus über einen zum Gemeinschaftstreff umgenutzten Tante-Emma-Laden bis hin zu einem Hotel im umgebauten ehemaligen Getreidesilo – lebendige Beispiele dafür, wie durch kreative Planung neue Räume entstehen, ohne neu zu bauen. Auch in früheren Jahren konnten Besucher außergewöhnliche Projekte entdecken – etwa ein experimentelles Wohnhaus aus Strohballen oder die Umnutzung einer ehemaligen Panzerhalle zu modernem Wohnraum. Selbst während der Corona-Pandemie 2020 fand ein „Tag der Architektur“ statt, wenn auch in ungewohnter Form: Da Vor-Ort-Besichtigungen zeitweise nicht möglich waren, wurden digitale Angebote wie virtuelle Rundgänge und Projektvideos geschaffen, um Architekturinteressierten dennoch Einblicke zu ermöglichen.

Insgesamt verdeutlichen diese Beispiele, dass der Tag der Architektur nicht nur herausragende neue Gebäude präsentiert, sondern auch aktuelle Entwicklungstrends in Architektur und Stadtplanung abbildet. Ob energetische Sanierungen, innovative Holzbau-Projekte oder gemeinschaftliche Wohnformen – die gezeigten Objekte repräsentieren die wichtigen Themen der Gegenwart. Damit bleibt der Tag der Architektur ein spannendes Schaufenster der Baukultur, das jährlich aufs Neue zeigt, wie vielfältig, innovativ und zukunftsorientiert in Deutschland geplant und gebaut wird.

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