Boxing Day: Herkunft, Geschichte und moderne Bräuche

Boxing Day (der 26. Dezember) ist in Großbritannien und vielen Commonwealth-Ländern ein wichtiger Feiertag direkt nach Weihnachten. Traditionell war dies der Tag, an dem Dienstpersonal, Händler und sogar arme Gemeindemitglieder eine Weihnachtsgabe – oft in Form einer Geschenkbox – von ihren Arbeitgebern oder Gönnern erhielten (nicht zu verwechseln mit der familiären Bescherung am Morgen des 25. Dezember in diesen Ländern). Im Laufe der Zeit hat sich der Boxing Day jedoch gewandelt: Im 21. Jahrhundert ist er vor allem geprägt durch Schnäppchenjagden im Einzelhandel sowie große Sportevents und wird vielerorts als zusätzlicher freier Tag für gesellschaftliche Aktivitäten genutzt. Er ist als gesetzlicher Feiertag (Bank Holiday) fest in den Kalendern etwa Großbritanniens, Kanadas, Australiens, Neuseelands und weiterer Staaten des Commonwealth verankert.

Herkunft und historische Bedeutung

Die Ursprünge des Boxing Day liegen in sozialen und religiösen Traditionen, die bis ins Mittelalter zurückreichen. Schon im frühen Christentum galt der 26. Dezember – der Stephanstag – als Tag der Wohltätigkeit: In den Kirchen wurde am Fest des heiligen Stephanus eine besondere Armenkollekte abgehalten, und am Tag nach Weihnachten verteilte man die gesammelten Almosen an Bedürftige. Viele Historiker vermuten, dass der Name Boxing Day auf diese Spendenkisten (alms boxes) zurückgeht, die während der Adventszeit in Kirchen gefüllt und am 26. Dezember geöffnet wurden. Eine andere Erklärung sieht den Ursprung des Begriffs in den Geschenkpäckchen („Christmas boxes“), die Arbeitgeber ihren Angestellten nach dem Weihnachtsfest überreichten. Beide Deutungen unterstreichen den ursprünglichen Charakter des Boxing Day als Tag des Gebens und Danksagens.

Bereits im 17. Jahrhundert entwickelte sich in England der Brauch, am 26. Dezember Trinkgelder und Geschenke an diejenigen zu verteilen, die einem das Jahr über Dienste erwiesen hatten. So zogen etwa Handwerker, Postboten und Dienstpersonal von Haus zu Haus, um sich ihren „Christmas Box“ abzuholen – eine kleine Anerkennung für ihre Arbeit im vergangenen Jahr. In wohlhabenden Familien wurde den Hausangestellten traditionell der erste Weihnachtstag kaum frei gegeben, da sie für das Fest ihrer Herren arbeiten mussten. Als Ausgleich schenkte man ihnen am zweiten Weihnachtsfeiertag frei und schickte sie mit einer Box voll Geschenke, Sonderzahlungen und übrig gebliebenem Festessen nach Hause zur Familie. Dieses soziale Ritual – quasi ein Dankeschön in Schachtelform – ist der Kern dessen, was Boxing Day ursprünglich bedeutete. Viele Arbeitgeber führten solche Jahresgratifikationen auch in späteren Zeiten fort (teils bis ins 20. Jahrhundert), wenngleich sich das Geben von Weihnachtsboni mit der Zeit oft auf die Tage vor Weihnachten verlagerte.

Verbreitung im Commonwealth

Durch die historische Ausbreitung des Britischen Empire wurde der Boxing Day in weiten Teilen der Welt bekannt. Noch heute ist der 26. Dezember in zahlreichen Ländern des Commonwealth of Nations ein offizieller Feiertag. Besonders in Kanada, Australien, Neuseeland, Großbritannien selbst sowie vielen afrikanischen Staaten mit britischer Kolonialgeschichte bleibt an diesem Tag die Arbeit ruhen, und die beschriebenen Bräuche haben sich dort fest etabliert. In Südafrika wurde der Boxing Day 1994 sogar offiziell in “Day of Goodwill” (Tag der Güte) umbenannt, um den Gedanken des Wohlwollens und der sozialen Wärme stärker zu betonen.

Außerhalb des Commonwealth ist der Boxing Day dagegen weniger verbreitet. In den USA etwa gibt es keinen offiziellen Feiertag am 26. Dezember; die britische Tradition wurde von den englischen Siedlern in den amerikanischen Kolonien nicht fortgeführt. Dennoch kennen viele Menschen weltweit den Begriff Boxing Day – sei es durch internationale Medien, Sportübertragungen oder die globalen Weihnachtseinkaufs-Trends, die sich mittlerweile um dieses Datum entwickelt haben.

Einkaufsaktionen am Boxing Day

Einkaufen am Boxing Day – dieser Aspekt des Feiertags hat in den letzten Jahrzehnten enorm an Bedeutung gewonnen. In vielen Ländern, insbesondere in Großbritannien, Kanada und Australien, ist der 26. Dezember heute ein Shopping-Event mit nahezu Kultstatus. Händler locken mit dramatisch reduzierten Preisen und beginnen oft schon in den frühen Morgenstunden mit Sonderverkäufen und Räumungsverkäufen, was riesige Menschenmassen in die Einkaufszentren strömen lässt. Das obige Foto zeigt zum Beispiel das Eaton Centre in Toronto am Boxing Day – überall „Sale“-Schilder und dicht gedrängte Käufer zeugen vom Ausmaß des Ansturms. Für viele Geschäfte ist der Boxing Day mittlerweile der umsatzstärkste Tag des Jahres.

Die Boxing-Day-Sales werden häufig mit dem amerikanischen Black Friday verglichen, da es ebenfalls zu einem regelrechten Rabatt-Wettbewerb kommt. In den überfüllten Läden bilden sich lange Schlangen, und manche Kaufhäuser vergeben sogar Einlasskarten oder limitieren die Kundenzahl, um das Gedränge zu kontrollieren. Gelegentlich kam es in der Vergangenheit durch den Ansturm zu Unfällen, was Ladenbesitzer veranlasst hat, Sicherheitsmaßnahmen zu verschärfen. In einigen Regionen – etwa Teilen Kanadas – bleiben die Geschäfte am 26. Dezember aus Rücksicht auf die Feiertagsruhe geschlossen; dort beginnt der Winterschlussverkauf erst am 27. Dezember. Häufig dehnen große Handelsketten ihre Aktionen sogar auf eine ganze “Boxing Week” aus, die bis zum Neujahr reicht. In jüngerer Zeit zeichnet sich allerdings ein Wandel ab: Der aus den USA stammende Black Friday Ende November gewinnt auch im Vereinigten Königreich immer mehr an Einfluss und konkurriert mit den traditionellen Boxing-Day-Angeboten – was spürbar dazu geführt hat, dass sich ein Teil des vorweihnachtlichen Kaufrauschs vom Dezember in den November verlagert.

Sportliche Veranstaltungen am Boxing Day

Sportliche Wettkämpfe gehören fest zur modernen Boxing-Day-Tradition. Im Vereinigten Königreich und anderen Commonwealth-Ländern werden an diesem Tag traditionell hochkarätige Sportereignisse ausgerichtet. So finden in England, Wales, Schottland und Nordirland am 26. Dezember in den obersten Ligen Fußball- und Rugbyspiele statt – oft bewusst als Lokalderbys, damit Teams und Fans am Feiertag keine langen Reisen antreten müssen. Auch der Pferdesport hat seinen festen Platz: Beim renommierten King George VI Chase auf der Rennbahn Kempton Park etwa strömen alljährlich Tausende von Zuschauern zusammen. Traditionell versammelten sich in ländlichen Regionen an Boxing Day zudem Reiter und Hundemeuten zur Fuchsjagd, bis diese Form der Jagd 2005 in Großbritannien gesetzlich weitgehend verboten wurde – vielerorts werden jedoch weiterhin Schau-Jagden mit künstlicher Duftspur als Ersatz abgehalten.

Doch auch außerhalb Großbritanniens sorgt Sport am 26. Dezember für festliche Stimmung: In Australien beginnt jedes Jahr am zweiten Weihnachtsfeiertag das legendäre Boxing Day Test Match im Cricket – ein mehrtägiges Spiel der australischen Nationalmannschaft, das im ausverkauften Melbourne Cricket Ground vor Zehntausenden Fans zelebriert wird. Gleichzeitig fällt in Sydney der Startschuss zur prestigeträchtigen Sydney-Hobart-Regatta, einem Segelrennen über 1.100 Kilometer nach Tasmanien. In der Schweiz wird traditionell am Boxing Day das internationale Eishockey-Turnier Spengler Cup in Davos eröffnet, häufig unter Teilnahme einer kanadischen Auswahlmannschaft. Und nicht zuletzt macht der Boxing Day seinem Namen in manchen Ländern auch sportlich Ehre: So werden beispielsweise in einigen afrikanischen Staaten (ehemals britischer Kolonien) – und sogar in Italien – seit Jahrzehnten am 26. Dezember Boxkämpfe und Show-Fights veranstaltet.

Gesellschaftliche und kulturelle Bräuche

Neben Shopping und Sport bleibt der Boxing Day vor allem ein gesellschaftlicher Feiertag, der von vielen Menschen als Verlängerung der Weihnachtszeit genutzt wird. Nach dem Trubel des Vortags steht am 26. Dezember oft Erholung im Kreis von Familie und Freunden auf dem Programm. Man besucht Verwandte, unternimmt gemeinsame Spaziergänge – oder genießt schlicht einen gemütlichen Tag daheim. In Großbritannien heißt es sogar augenzwinkernd, Boxing Day sei der Tag, an dem man “recover from Christmas” (sich von Weihnachten erholt). Viele Familien veranstalten ein entspanntes Mittagessen mit den Resten des Weihnachtsessens, oft in Form kreativer Verwertung des Festbratens – beliebt sind zum Beispiel Putenfleischreste als Boxing-Day-Sandwich oder als Currygericht. Diese kleinen Traditionen des entschleunigten Beisammenseins sind für viele ein willkommener Ausklang der Feiertage.

Daneben haben sich mancherorts besondere Bräuche herausgebildet, die den Gemeinschaftsgeist am Boxing Day unterstreichen. In Großbritannien und einigen anderen Ländern wagen etwa jedes Jahr Freiwillige den sogenannten Boxing Day Dip: Bei dieser skurrilen Tradition stürzen sich wagemutige Teilnehmer am 26. Dezember in eiskalte Fluten – sei es ins Meer oder einen See – um Geld für wohltätige Zwecke zu sammeln. Während nur die Hartgesottensten den frostigen Sprung ins Wasser wagen, ziehen es die meisten doch vor, den Boxing Day eher ruhig und genussvoll anzugehen. Trotzdem zeigt der Dip-Brauch, dass der ursprüngliche Gedanke der Nächstenliebe bis heute in modernisierter Form weiterlebt. So verbinden sich am Boxing Day alter und neuer Geist: Ein Feiertag, der einst dem Geben und Danken gewidmet war, präsentiert sich heute als bunte Mischung aus sozialer Tradition, sportlicher Begeisterung und kommerziellem Treiben – und bleibt gerade deshalb ein lebendiger Teil der britischen Kultur und der vieler Commonwealth-Nationen.

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